Manita Ikka – Eine junge Adivasi-Frau zwischen zwei Welten

Einblicke in das Leben einer Haushaltshilfe aus Jharkhand – über Herkunft, Herausforderungen und Hoffnungen

Manita in ihrem Dorf

In meinem Zuhause in Shimla arbeitet seit zwei Monaten Manita Ikka, eine junge Frau aus dem ostindischen Bundesstaat Jharkhand. Sie ist 18 Jahre alt, gehört zur indigenen Adivasi-Gemeinschaft der Oraon und hilft uns im Haushalt: Sie kocht, putzt, wäscht, geht einkaufen und betreut unseren kleinen Sohn Samuel. Sie arbeitet täglich von 11 Uhr bis etwa 17:30 Uhr, bekommt bei uns ein warmes Mittagessen – was in Indien eher unüblich ist – und verdient 15.000 Rupien im Monat, was über dem Durchschnitt liegt. Für uns ist ihre Unterstützung eine große Erleichterung, gerade mit kleinem Kind und viel Arbeit. Gleichzeitig ist sie eine angenehme Gesellschaft, und ich genieße es, mich mit ihr auf Hindi zu unterhalten. Dieser Artikel erzählt Manitas persönliche Geschichte – und wirft dabei auch einen genaueren Blick auf Jharkhand, die Adivasi-Kultur und die Herausforderungen, vor denen viele junge Frauen wie Manita stehen.


Das Leben in Kharka – Kindheit in einem Adivasi-Dorf

Dorfleben

Manita stammt aus dem kleinen Dorf Kharka in Jharkhand. Sie wuchs als jüngstes von sechs Kindern auf – mit ihren Eltern, einem Bruder und vier Schwestern. Während ihre älteren Geschwister bereits früh heirateten oder das Dorf verließen, lebte Manita lange Zeit mit ihren Eltern zusammen. Als Kind ging sie zur Schule, half ihrer Mutter im Haushalt und spielte mit ihren Freundinnen – besonders gern Gilli Danda am See außerhalb des Dorfes. Sie liebt es zu singen, ihr Lieblingsessen ist Masur Dal mit Reis.

Manitas Familie gehört zur Oraon-Gemeinschaft, einem der über 30 anerkannten Adivasi-Stämme in Jharkhand. Die Oraon sind traditionell Landwirte und leben in enger Verbundenheit mit der Natur. Ihre Religion ist animistisch geprägt: Sie verehren Naturgeister und insbesondere Bäume wie den Mahua-Baum, der auch die Schutzgottheit von Manitas Familie ist. Zu den wichtigsten Festen gehören Karam und Sarhul – traditionelle Adivasi-Feiern, bei denen die Verbindung zur Natur und den Vorfahren zelebriert wird.


Jharkhand – Reichtum an Ressourcen, Armut in der Bevölkerung

Jhakhand

Jharkhand, seit 2000 ein eigenständiger Bundesstaat, ist reich an natürlichen Ressourcen wie Kohle, Eisenerz und Kupfer. Dennoch lebt ein großer Teil der Bevölkerung – insbesondere die Adivasi – in Armut. Jharkhand ist von dichten Wäldern, Hügeln und Flüssen geprägt. Etwa 27 Prozent der Bevölkerung gehören indigenen Gemeinschaften an. Viele von ihnen leben noch heute in traditionellen Dörfern, abseits städtischer Infrastruktur. Die offizielle Sprache ist Hindi, doch die Adivasi sprechen auch ihre eigenen Sprachen wie Kurukh (bei den Oraon), Mundari oder Ho.

Trotz reicher Kultur und großem Wissen um Natur und Landwirtschaft sind viele Adivasi sozial benachteiligt. Die Gründe dafür liegen in jahrhundertelanger Diskriminierung, wirtschaftlicher Ausgrenzung und dem Verlust ihres angestammten Landes – oft durch Bergbauprojekte oder Infrastrukturmaßnahmen. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Adivasi-Gemeinschaften und Regierung oder Großunternehmen. Dazu kommen soziale Probleme wie mangelnder Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung – und Alkoholismus, der insbesondere unter Männern verbreitet ist. Auch Manitas Vater starb höchstwahrscheinlich an den Folgen seiner Alkoholsucht – ein trauriges, aber häufiges Schicksal in ihrer Region.


Bildungsdrang und gescheiterte Versuche

Manita wollte nach der 8. Klasse weiter zur Schule gehen. Doch durch den Tod ihres Vaters und die Corona-Pandemie wurde ihre Schulausbildung unterbrochen. Sie versuchte mehrmals, sich in einer Schule im Nachbardorf Toto einzuschreiben – doch politische und territoriale Spannungen zwischen ihrem Heimatdorf und Toto machten dies unmöglich. Als auch noch die Schulen wegen Corona schlossen, war klar: Sie musste die Schule abbrechen.


Erste Arbeitserfahrungen – vom Ziegeltragen zur Haushaltshilfe

Manita begann, auf einer Baustelle in Jharkhand zu arbeiten. Für je 1000 Ziegelsteine erhielt sie 150 Rupien – sie schaffte bis zu 4000 am Tag. Doch die Arbeit war hart und schlecht bezahlt. Auf Empfehlung ihrer Schwester kam sie schließlich nach Shimla, wo ihr Schwager als Schreiner arbeitet.

In Shimla begann sie als Haushaltshilfe bei einer Familie in New Shimla, wo sie ein 6-jähriges Mädchen betreute und im Haushalt half. Nach zwei Jahren zog die Familie weg. Weitere Jobs folgten – in Panthaghati, bei verschiedenen Familien. Nicht überall fühlte sie sich wohl. Heute arbeitet sie bei uns sowie stundenweise bei einer weiteren Familie in der Nähe.

Sie lebt mit zwei Mitbewohnerinnen zusammen – auch junge Frauen aus Jharkhand, die als Haushaltshilfen arbeiten. Einen großen Teil ihres Gehalts schickt sie monatlich ihrer Mutter.


Zukunftspläne – Zurück in die Heimat

Manita ist sich sicher: Sie möchte nur noch zwei Jahre als Haushaltshilfe arbeiten. Danach will sie eine Schneiderinnenausbildung machen, zurück in ihr Dorf ziehen und dort ein eigenes kleines Schneideratelier eröffnen – mit Garten und einem friedlichen Leben an der Seite ihrer Mutter. Das Leben in der Stadt empfindet sie als notwendig, nicht als Wunsch. Ihr Herz schlägt für ihr Dorf, ihre Kultur und ein einfaches Leben in Gemeinschaft.


Ein persönlicher Einblick in das moderne Indien

Manita

Manitas Geschichte steht exemplarisch für viele junge Frauen aus strukturschwachen Regionen Indiens. Sie zeigt die Ambivalenz eines Landes, das zwischen Tradition und Moderne, Reichtum und Armut, Stadt und Land, patriarchalen Strukturen und weiblicher Selbstermächtigung steht.

Für uns ist Manita eine wertvolle Unterstützung – und es ist uns wichtig, dass auch sie durch ihre Arbeit bei uns profitiert, spart, träumt. Vielleicht kehrt sie eines Tages wirklich zurück nach Kharka – als selbstständige Schneiderin mit einem eigenen kleinen Laden unter einem großen Mahua-Baum.

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