Januar Kalender Blatt Geschichte Nr. 1
Dieses Weihnachten habe ich meinen Großeltern einen Indien-Kalender mit Fotos meiner Reisen geschenkt. Zu jedem Foto werden sie im Laufe des Jahres jeden Monat eine Geschichte bekommen.
Diese Geschichten möchte ich auch gern mit euch teilen.
Und hier ist auch schon die erste Geschichte zum Januar- Kalenderblatt:
Es ist 6:30 Uhr. Wir befinden uns etwa hundert Meter vor dem Gipfel. Ab jetzt wird es richtig steil, ca 75% Steigung. Doch der Schnee ist so früh am Morgen noch gut gefroren, sodass sich unsere Steigeisen mühelos in den harten Schnee bohren und wir uns gut nach oben abdrücken können. Wir setzen, wie auf einer Leiter, einen Schritt über den anderen. Alle paar Schritte nehmen wir eine längere Atempause. Auf ungefähr 5900 Meter ist die Luft dünn und wir kommen leicht außer Atem. Da wir aneinander geseilt sind, ist es gar nicht so einfach einen gemeinsamen Rhythmus aus Pause und Laufen zu finden. Doch wir sind ein eingespieltes Team und kommen ganz gut vorwärts. Wir, das sind Jogi, David und ich. Ich bin in der Mitte, Jogi vorne und David bildet den Abschluss. Ich bin die Unerfahrenste von uns und ganz froh, in der sicheren Mitte zu sein. Seit 3:30 Uhr nachts sind wir unterwegs.
Einfach war es nicht, so früh aufzustehen und sich zu dritt im engen Zelt auf die Gipfelbesteigung vorzubereiten. Doch schon am Abend vorher, hatten wir unsere Sachen gut sortiert, so dass alles recht flüssig von statten ging. Wir entzündeten unseren kleinen Gaskocher und kochten Tee, zogen über unsere warme Thermounterwäsche Fleecepullover, Jacken und Hose. Zum „ Frühstück“ gab es Müsli mit stark gesüßter Pulvermilch. geschmacklich war uns egal was wir aßen, wichtig war uns die Energie, die wir uns daraus zogen.
Dann der komplizierteste Teil: Im Dunkeln musste der Sitzgurt und die Steigeisen befestigt werden. David und Jogi kümmerten sich um das Seil und seilten uns einander. Wir schulterten unsere Rucksäcke auf und stiegen hoch in die Nacht.
Ich war froh, dass Jogi uns führte. Denn trotz Stirnlampe hatte ich keinerlei Orientierung. Alles war schwarz. Nur ab und zu zuckte ein leuchtender Blitz hinter uns auf. Irgendwo, weit hinter uns in einem Tal, schien es zu gewittern.
Ab und zu stiegen Nebelschwaden auf und ich sah noch weniger. Doch mit dem Sonnenaufgang verzogen sich die Wolken und wurden weiter hinab in das Tal gedrückt, sodass wir eine atemberaubende Sicht über die Bergwelt des indischen Himalaya hatten. Wir blieben kurz stehen, schalteten unsere Stirnlampen aus und genossen das einmalige Berg-Panorama. In diesem Moment dachte ich: „ Das ist der Grund, warum ich all die Anstrengung und Entbehrungen auf mich nehme, dieser Blick“. Es war einfach unbeschreiblich schön, als die Sonne die Bergspitzen in ein weiches Licht tauchte. Ein Moment, den ich nie vergessen werde und auf ewig in meinen Erinnerungen tragen werde.
Danach bahnten wir uns unseren Weg immer höher, über steiles Eis und felsigen Untergrund. Zunächst Richtung Kamm. Hier mussten wir achtgeben, da sich ein unstabiler Überhang aus Schnee befand, auf den man besser nicht lief.
Wir kreuzten den Berg etwas und kletterten dann ziemlich gerade hinauf.
Nun sind wir nahe zu am Gipfel. Für die wenigen Meter, die es nun fast vertikal hochgehen wird, werden wir noch gut fünfundvierzig Minuten benötigen. Dann werden wir oben stehen. Auf dem Gipfel des Hanuman Tibbas, 5932 Meter. Um uns herum wird nur noch Weite sein und nichts als weiße Berggipfel, die wir bis in weite Ferne bestaunen können.