Mein Leben in Indien nahm seinen Anfang mit einem Freiwilligenjahr in Delhi. Ich hatte an dem Programm „Weltwärts“ teilgenommen und wurde durch den deutschen Staat unterstützt für ein ganzes Jahr mit einer indischen Organisation in einem Elendsviertel in Delhi zu arbeiten.
Noch heute bekomme ich oft Fragen zu meiner Freiwilligentätigkeit und mein erstes Jahr vor Ort in Delhi.
Um so spannender war es nun für mich selbst in meinen Dokumenten alte Berichte für meine damaligen Sponsoren zu finden und zu lesen.
Fast 10 Jahre ist dieses Freiwilligenjahr nun her und ich bin dankbar für diese aufgehobenen Erinnerungen. In der nächsten Zeit, werde ich alle 7 Berichte auf diesen Blog veröffentlichen. Hier Bericht Nummer 1.
September 2009
Nun sind doch tatsächlich schon die ersten vier Wochen meines Indien-Abenteuers vergangen.
Und wie ich schon jetzt behaupten kann, ist Indien wirklich ein Abenteuer in jeder Hinsicht: Millionen von Fahrzeugen, deren einzige Gemeinsamkeit eine funktionierende (und ständig benutzte) Hupe ist, spielende Kinder im Müll in den Slums, Ohrenputzer, die auf dem berühmten Connaught-Place im Zentrum Delhis ihre Dienste anbieten, das strahlende Taj Mahal, das den Eindruck erweckt, auf den blauen Himmel aufgeklebt worden zu sein, Mädchen die meine Hände mit Henna bemalen, Massenaufläufe in Tempeln und Moschen an Feiertagen, köstliches Essen, nach welchem man allerdings ab und zu die Konsequenzen für diesen Genuss am nächsten Tag auf der Toilette zu spüren bekommt und, und, und…
Meine ganzen Erlebnisse nun noch einmal Revue passieren lassend, muss ich wohl oben genanntes noch einmal korrigieren:
Nun sind doch tatsächlich erst vier Wochen meines Indien-Abenteuers vergangen!!!
Und um nicht vom Hundertsten ins Tausendste zu gelangen habe ich mich dazu entschieden bestimmte Themen unter Teilüberschriften einzugliedern. Also dann mal los und viel Spaß beim Lesen.
Im Folgenden werde ich übrigens immer von „wir“ sprechen. Das liegt daran, dass ich hier mit einer anderen Freiwilligen, Joanna, praktisch rund um die Uhr zusammen bin.
Delhi
Delhi ist riesig. Um die 15 Millionen Einwohner leben hier auf engstem Raum. Arm neben Reich; Moslem neben Hindu; auf der Straße, in Villen; spindeldürr oder wohl beleibt.
Besonders Delhis Straßen sind ein Erlebnis und es hat schon etwas gedauert, bevor wir uns getraut haben eben solche zu überqueren. Jeder fährt wie er will, teilweise ist gar nicht ersichtlich, dass hier Linksverkehr herrscht, da ab und an die Gegenfahrbahn einfach mit benutzt wird. Die meisten Autos besitzen so etwas wie Seitenspiegel gar nicht, der Richtungswechsel wird entweder per Hand oder Hupe angedeutet und überholt wird von allen Seiten. Auf den Straßen tummeln sich Autos, LKWs, Rikschas, Fahrradfahrer, Handkarren und Kühe.
Wenn man gerade in einer Fahrrad-Rikscha sitzt und sowohl von rechts als auch von links von LKWs überholt wird, die zu einem einen maximalen Abstand von 10 cm aufweisen, dann ist es doch immer wieder ein Wunder, dass man heil aus der Geschichte heraus gekommen ist.
Doch Delhi hat auch andere Gesichter, die fernab von Abgasen und ohrenbetäubenden Lärm liegen. So gibt es wunderschöne Parks und tolle historische Sehenswürdigkeiten.
Besonders unsere Wohngegend, Alaknanda, die ein wenig wohlhabender zu sein scheint, weist einen riesigen Park auf, den sowohl wir, als auch hunderte von Indern zur morgendlichen sportlichen Betätigung nutzen. Einziger Makel: Es gibt Schlangen. Nicht besonders viele, aber dafür, dass mir erzählt wurde in Delhi gäbe es keine Schlangen, habe ich mit dreien doch schon ein paar gesehen.
Das Rote Fort, Qutb Minar, eine 27 Meter hohe Säule, das India Gate, die Hindu-Tempel und Moscheen sind überwältigend. In Europa habe ich noch nichts Vergleichbares gesehen, mit Ausnahme von Rom vielleicht. Besonders in den unzähligen Tempeln und Moscheen herrscht eine einnehmende und besinnliche Stimmung.
Ansonsten ist es, wie im Rest Indiens, recht heiß. Nicht unbedingt unangenehm, aber der Schweiß läuft und läuft. Doch wie es scheint fängt nun die Winterzeit an und die Temperaturen nehmen merklich ab, dass wiederum hat leider zur Folge, dass ich die letzten Tage krank im Bett verbracht habe. Der Wechsel kam einfach zu schnell. Es hatte sogar geregnet.
Naja, glücklicherweise habe ich nur einen Tag wirklich hohes Fieber gehabt und mit jedem weiteren Tag geht es mir immer besser.
Die Menschen
Die Inder sind ein überdurchschnittlich freundliches Volk. Trotz Sprachbarrieren nehmen sie sich bei Fragen immer viel Zeit um zu helfen, auch wenn es dadurch schon des Öfteren passieren kann, dass man kreuz und quer geschickt wird.
Oft werden wir von neugierigen Blicken gemustert und es kommt häufig vor, dass bei Sehenswürdigkeiten wir zur eigentlichen Attraktion werden, wenn um uns herum eine Traube von Indern stehen, die alle mit uns Fotos machen wollen. Nur manchmal ist es ein bisschen anstrengend, zum Beispiel dann, wenn man nach den ersten 10 Minuten schon Liebeserklärungen vernimmt oder auf Schritt und Tipp verfolgt wird.
Die Arbeit
Von morgens 9:30 Uhr bis nachmittags 17:00 Uhr sind wir Werktags bei unserer Organisation ABHAS tätig.
Die Organisation ist in mehrere Center an unterschiedlichen Orten in Tughlakabad-Village aufgeteilt.
Als Dorf würde ich Tughlakabad Village eigentlich nicht bezeichnen. Jedenfalls ist es mit keinem Dorf in Europa zu vergleichen. Aber es unterscheidet sich schon sehr von Delhi-Stadt.
Die Häuser der Menschen sind eigentlich nichts weiter als einzelne Räume, hier und dort gibt es Mini-„Werkstätten“ in denen genäht oder repariert wird. Die Wege sind hier natürlich nicht befestigt, gerade wenn es regnet, wird diese Tatsache problematisch, da sich der so genannte Weg in ein Schlammbad verwandelt.
Überall liegt Müll, teilweise laufen wir an richtigen Müllkippen vorbei in denen die Kinder zusammen mit den Schweinen spielen. Daneben befinden sich Kühe und Affen. Nicht zu vergessen die Hunde und Katzen.
Tughlakabad ist eine kleine Kommune für sich. Während einer Unterhaltung mit den Anwohnern kam zum Ausdruck, dass kaum jemand Tughlakabad jemals verlässt. Dieser Fakt, sowie die Tatsache, dass viele Eltern ebenfalls keine Schulbildung erfahren haben, sind unter anderem die Ursache dafür, dass viele Kinder eben nicht zur Schule gehen. Gerade die Mädchen passen auf ihre jüngeren Geschwister auf, oft hängen die Kinder aber auch einfach nur herum.
ABHAS versucht diesen Kindern nun wenigstens eine Basis an Bildung zu ermöglichen, fördert besonders bedürftige Mädchen mit Stipendien, wodurch sie Schulmaterial und Nachmittagsunterricht bei ABHAS erhalten.
Oft werden Workshops zu Themen wie Pubertät und Hygiene ausgeführt oder es wird gebastelt und getanzt.
Nun aber zu meiner persönlichen Arbeit.
Jeden Vormittag von 10:00 bis 13:00 Uhr sind wir in einem Center für Frühkind-Erziehung tätig. Kinder im Alter von 2 bis 12 Jahren kommen mehr oder weniger regelmäßig hierher um unter anderem eine Grundbildung im Lesen und Schreiben zu erhalten, betreut zu werden und eine warme Mahlzeit zu bekommen. Diese Kinder sind entweder Schulabbrecher, noch nie zur Schule gegangen oder einfach noch zu jung dafür.
Joanna und ich haben hier unsere eigene Gruppe. Spielerisch versuchen wir den Kindern sowohl das lateinische Alphabet, als auch englische Vokabeln und Satzstrukturen bei zu bringen. Darüber hinaus malen und singen wir viel mit den Kleinen oder betätigen uns sportlich mit Ball und Hüpfspielen. Die Kinder stecken voller Energie, sind sehr zutraulich und zum überwiegenden Teil sehr wissbegierig.
Ich habe sie schon richtig ins Herz geschlossen und es ist immer eine große Freude mit ihnen arbeiten zu können. Überhaupt sind wir in diesem Center schon voll integriert, sodass wir auch Aufgaben der anderen Lehrkräfte, wie zum Beispiel die Essensverteilung, übernehmen.
Der Nachmittag verlief bis jetzt noch etwas ruhiger. So haben wir entweder bei den Workshops und Unterrichtsstunden der Scholarship-Mädchen hospitiert, bei den ärztlichen Untersuchungen dieser Mädchen geholfen, ein wenig über uns und Deutschland erzählt oder kleine Unterrichtsstunden gegeben.
Unsere Unterkunft
Mit der Unterkunft haben wir wirklich glück. Bei einer älteren, im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung, recht wohlhabenden Dame, unserer Nani (Hindi =Großmutter), teilen Joanna und ich uns ein Zimmer mit Zugang zu einem eigenen Bad.
Eine Dusche gibt es nicht. Stattdessen steht uns eine Wassertonne mit kaltem Wasser zur Verfügung, das wir mit einem Schöpfeimer über uns gießen. Das Wasser kommt zweimal täglich: morgens und abends.
Da Nani den oberen Teil des Hauses zusammen mit ihrer Enkelin und einer anderen Frau bewohnt (das Rätsel um diese Person haben wir noch nicht ganz gelüftet, sie scheint eine Mischung aus Angestellte und aufgenommene Mitbewohnerin Nanis zu sein), haben wir zusätzlich fasst die ganze untere Etage, einschließlich Küche und Esszimmer, für uns. Essen bekommen wir von Nani nicht zur Verfügung gestellt. Momentan versuchen wir uns mit den wichtigsten Grundnahrungsmittel einzurichten (Brot, Zucker, Salz, Öl, Kartoffel, Reis, Obst…). Obwohl selbst das mit kleinen Schwierigkeiten verbunden ist. So haben wir die vermeintlichen Kartoffel ewig gekocht (sie wurden einfach nicht weich) bis wir sie probehalber halbiert hatten nur um zu erfahren, das unsere Kartoffeln Kerne haben und eigentlich Früchte sind.
Naja, bis das mit der Selbstversorgung klappt bestellen wir wohl weiterhin bei „Motherkitchen“, einen Lieferservice gleich um die Ecke mit köstlichem indischem Essen.
Wir bekommen immer Reis und Roti (Teigfladen), mit Dal (Linsenbrei), einem Gemüsecurry und Jogurt.
Nani hat uns wirklich gut aufgenommen, in den ersten Tagen hat sie uns überall herum geführt, Fragen beantwortet und uns bei vielem Organisatorischen geholfen.
Agra
Tatsächlich haben wir schon unseren ersten dreitägigen Ausflug gemacht. Unser angestrebtes Agra, haben wir mit dem Zug erreicht. Die Zugfahrt für sich war schon ein Abenteuer. Eingekeilt in Menschenmassen, ohne Bewegungsfreiheit am offenen Fenster drei Stunden ausharren. Kein leichtes Los.
Das Taj Mahal in Agra, sowie all die anderen Sehenswürdigkeiten in der Umgebung haben die anstrengende Fahrt aber wieder wettgemacht.
Tatsächlich ist das riesige Mausoleum unbeschreiblich schön und wirkt völlig surreal, wenn man vor ihm steht. In jedem Fall einen Besuch wert!
Hindi und Yoga
Joanna und ich haben es tatsächlich schon geschafft eine gewisse Routine in unseren Alltag zu bringen. Morgens geht es ab in dem Park zum Laufen, dann auf zur Arbeit und abends wechseln sich Hindi- und Yogaunterricht ab. Tatsächlich haben wir den Ehrgeiz Hindi möglichst gut zu lernen. Und ich muss sagen, wir machen uns gar nicht schlecht. Das Hindi-Alphabet, können wir schon lesen und auch grammatikalisch sind wir schon etwas voran geschritten. Einfache Dinge verstehen wir nun schon und können uns selbst schon ganz gut verständlich machen.
Das Beste was uns hier passieren konnte ist der Yogaunterricht. Es ist so entspannend und ein guter Gegenpol zum hektischen Leben in Delhi.
Oft wundern wir uns, was alles unter den Begriff „Yoga“ fällt, aber es tut uns einfach nur gut.
So, dass war es nun erst einmal für diesen Monat von mir.
Viele Grüße aus Indien.
Sarah Appelt