Last uns 11 Jahre zurückreisen…
Endlich wieder in Delhi. Vier Wochen war ich nun unterwegs. Die Hälfte davon habe ich auf meinem Zwischenseminar in Orissa verbracht, während der restlichen Zeit war ich reisen. Vor allem in Südindien. Aber zu dieser aufregenden Zeit äußere ich mich erst etwas später.
Erst einmal muss ich die frohe Botschaft verbreiten, dass wir mit der Dschungellandschaft auf den Wänden unseres Centers fertig geworden sind. Es ist toll geworden. Die viele Arbeit inklusive der Wochenendschichten hat sich gelohnt! Von den Wänden blicken den Kindern Elefanten, Bären und Vögel entgegen. Eine Schlange schlängelt sich um einen Baum und die Affen schwingen sich von Liane zu Liane. Letztere finden die Kinder besonders klasse. Ständig soll ich den Äffchen ihre Banane klauen! Die Kinder lieben ihre neue Tagesstätte. Die letzte Woche vor meiner großen Reise war noch einmal besonders intensiv, da ich mit den Kindern alleine war. Joanna war mit ihren Eltern schon gen Norden aufgebrochen. Ich ersetzte eine Lehrerin und hatte viel Spaß dabei, die Kinder einmal ganz für mich allein zu haben und ihren Tag zu gestalten!
Dann hieß es für eine längere Zeit Abschied nehmen. Von der Arbeit, den Kindern und von Nani.
Nach einer 36-Stunden Fahrt erreichten wir pünktlich (!) Chennai, eine Großstadt in Südindien. Schon allein diese Zugfahrt war ein Erlebnis für sich. Zwei Nächte und einen Tag verbrachten wir zusammen mit Schaben und der ein oder anderen Ratte in unserem Abteil, das sich pö a pö immer mehr aufheizte (Wir fuhren recht preiswert und waren zu geizig gewesen uns ein Abteil mit Klimaanlage zu leisten!)
Südindien ist sooo anders. Das wurde uns schon beim aussteigen aus dem Zug klar: warme, feuchte Luft strömte uns entgegen und brachte uns sofort zum schwitzen. Tausende Palmen säumten die Straße. Kein Hindi wurde mehr gesprochen. Wir fühlten uns wie in einem anderen Land. Vor meiner Reise in den Süden bin ich eine starke Verfechterin Nordindiens gewesen: Ich fühle mich sehr wohl im Norden. Ich mag die Menschen. Bin begeißtert von der Natur, liebe das Essen und finde die Städte aufregend. Nun. Nach ein paar Wochen in Südindien, musste ich feststellen, dass der Norden im Vergleich doch recht rau und hart ist. Um sich hier wirklich wohl zu fühlen, muss man ziemlich stark und hart im nehmen sein! Ich stelle es mir sehr schwer vor, erst den Süden und danach den Norden zu bereisen. Der Süden ist sauber. Die Menschen freundlicher. Es gibt weniger Bettler. Das Essen ist leicht und einfach köstlich und die Natur atemberaubend! Ich liebe meinen Norden natürlich weiterhin, weiß aber nun, dass es auch so etwas wie ein „Urlaubsland Indien“ gibt!
In Chennai wohnten wir in einer Familie, die Joannas Vater von früher kannte. Hier sahen wir zum ersten Mal das Meer und sprangen auch sogleich in den Golf von Bengalen! Der Urlaub konnte beginnen! Von Chennai ging es noch weiter in den Süden, fast bis ganz runter an die Spitze, unser Ziel war Kerala, das reiche Land der Kokosnüsse, welches unter kommunistischer Führung steht und eine 99 %ige Analphabethisierungsrate aufweisen kann. Während unserer 9 Tage hier, stießen wir auf keinen einzigen Bettler! In Varkala brutzelten wir uns tagsüber am Strand in der Sonne und schwammen im arabischen Meer. Abends saßen wir unter Palmen auf den Klippen und verspeisten frische Meeresfrüchte. In den Backwaters, ein großes System aus Seen und Flüssen (ähnlich dem Spreewald nur mit Palmen), vergnügten wir uns mit Fahrrad- und Paddeltouren. Danach ging es auf in die Westghats. Rund um den kleinen Ort Munnar wanderten wir durch Tee- und Gewürzplantagen. Übrigens: Ich habe nicht nur an frischen Vanilleschoten gerochen und auf Kakaobohnen herum gelutscht, sondern war auch im Land wo der Pfeffer wächst. Die letzte Station in Kerala hieß Kochin. Ein wunderbarer Ort zum relaxen und flanieren. Wir fühlten uns in dieser von Portugiesen geprägten Stadt, wie nach Südeuropa versetzt! Sogar eine Promenade gab es!! Hier erhielten wir nicht nur eine Darbietung des traditionellen Tanzes Kathakali, sondern wohnten auch einem altem, Ritual am Strand bei.
Wir brachen auf Richtung Mumbai. Was für eine Stadt! Total kosmopolitisch. Gerade im Zentrum gibt es noch sehr viele viktorianische Häuser. Einen ganzen Tag verbrachten wir an einem Set für einen Bollywood-Spielfilm! Wir wirkten als Statisten mit und hatten viel zu sehen. Von Bombay aus ging es quer durch ganz Indien bis nach Orissa. Einer der ärmsten Bundesstaten ganz Indiens, in dem gerade Unruhen von den Naxaliten und den Maoisten ausgehen. Hier verbrachte ich, mitten auf dem Land in einer Organisation mit integrierter Augenklinik, das achttägige Zwischenseminar. Es war wunderschön einmal ein paar Tage an einem Ort zu verbringen, der nicht Delhi ist. Ich lernte hier viele über das indische Dorfleben und auch über die hier ansässige Organisation. Vie Menschen haben hier aufgrund von Mangelernährung den grauen Starr. In der Klinik bekommen die Menschen ihr Augenlicht zurück.
Das Seminar war interessant. Besonders schön war es, sich mit den vielen anderen Freiwilligen über Erfahrungen und Ideen auszutauschen. Die acht Tage waren aber auch ganz schön anstrengend und ich freute mich schon wieder auf Delhi und meine Arbeit. Davor machten wir allerdings noch einen kleinen Abstecher nach Kalkutta. Bis jetzt meine liebste Stadt in Indien! Die vielen kleinen Gassen in Kombination mit den viktorianischen Häusern hatten einen besonderen Reiz auf mich. Natürlich besuchten wir auch das grab von Mutter Theresa.
In der Tat gibt es hier überdurchschnittlich viele arme Menschen. Sie sind überall: Sie schlafen auf dem Bürgersteig, ziehen Handrikschahs, waschen sich an öffentlichen Plätzen…Das nimmt einen schon ganz schön mit.
Nun bin ich endlich wieder in Delhi. Auch hier sind die Dinge nicht ganz so einfach. Natürlich war es einfach nur toll die Kleinen wieder um mich herum zu haben! Momentan sind es auch gar nicht mehr so viele, da die Älteren in die Schule eingegliedert werden und die Jüngeren mit ihren Familien in ihre Heimatdörfer reisen. Dadurch nutzen wir die Möglichkeit um ein paar „aufwändigere“ Aktivitäten auszuprobieren. Wir haben zum ersten Mal mit Wasserfarben gemalt, haben Sandbilder gemacht und Topfschlagen gespielt. Letzteres war das absolute Highlight. Wir hatten soviel Spaß!! Momentan sind wir allein für die Rasselbande verantwortlich. Wie immer gibt es finanzielle Probleme, sodass für die Übergangszeit zwei der Lehrerinnen entlassen worden. Es ist immer wieder schwer, mitzubekommen wie Spendenabhängig die Arbeit von ABHAS ist.
Am Nachmittag machen wir gerade Fallstudien von den Scholarship-Mädchen. Natürlich bin ich hier in Indien ganz anders mit Armut, Elend und Leid konfrontiert als in Deutschland. Man liest darüber nicht mehr nur in Zeitschriften oder sieht Reportagen im Fernsehen. Nein. Man erlebt diesen Überlebenskampf schon morgens auf der dem Weg zur Arbeit. Wenn der Gemüse-Wallah, von Schmerzen geplagt stark nach von gebeugt, den schweren Wagen an uns vorbei schiebt. Wenn wir mit der Rikschah an einer Familie vorbeifahren, die an einer stark befahrenen Straße auf ihren Bettgestellen sitzen und ihre verdünnte Suppe schlürfen. Wenn Frauen in ihren wunderschönen Saris, so edel und aufrecht gehend, auf ihren Köpfen schwere Körbe gefüllt mit Schutt und Geröll in der heißen Sonne tragen um beim Straßenbau mit zu helfen. Wenn Kinder ihren Müttern helfen ihre Eimer mit Trinkwasser zu füllen, für das sie 2 Rupien pro Eimer bezahlen müssen, sodass sie das kostbare Wasser nicht zum Waschen benutzen. Wenn Großmütter vor der Haustür sitzen und Kleidung mit Perlen besticken. Für die vier Kleidungsstücke, die sie am Tag schaffen, bekommen sie 40 Rupien. Wenn der 2 Jährige Suraj von Hunger geplant weint, die Banane aber nicht Essen will, sondern lieber mit nach hause nimmt um sie mit der Familie zu teilen.
All dies täglich zu sehen ist hart. Es schlaucht. Es macht müde und brennt sich ein in deine Seele wie die Delhi-Sonne auf deinen Nacken. Aber das alles ist nichts. Gar nichts zu den Gefühlen, die dich übermannen, wenn du dieses Leiden zusätzlich noch einmal aus dem Mund eines Kindes hört. Wenn mir die 16 jährige Jahanara, auf meine Frage hin, ob die Familie genug zu essen habe, mit einen einfachen „Nein“ antwortet. Ein Nein, dass mir erzählt, dass die Familie nie genug zu essen hat. Ein Nein, dass es außer Frage stellt, dass es jemals genug zu esssen geben könnte und ein Nein, dass dieses Hungerleiden so alltäglich, fasst schon normal im abnormalen Sinne macht.
Aber wie auch genug zu Essen haben: Mit einer Tasse Tee am Morgen. Manchmal einem Mittag bestehend aus zwei Roti und Gemüse. Und einem ähnlich aussehendem Abendessen. Kein Wunder das Jahanara an Blutarmut leidet.
Auch Chanchal hat es nicht leicht, als einziges Mädchen unter fünf Brüdern. Der Jüngste ist vor 4 Jahren aus dem 2. Stockwerk gefallen und hat sich dabei die Wirbelsäule verletzt. Nun braucht er ärztliche Behandlung die teuer ist. Der Vater will deshalb seine einzige Tochter von der Schule nehmen.
Die Geschichten der Mädchen sind alle irgendwie ähnlich: viele Geschwister, aus armen indischen Bundesstaaten nach Delhi mit ihrer Familie emigriert, finanzielle Probleme, kaum Wasser, wenig zu Essen…
Doch obwohl die Gefahr besteht, dass all diese Mädchen in der Masse untergehen, macht es ABHAS möglich ihnen eine individuelle Zukunft zu ermöglichen. Nicht nur das sie mit Medikamenten gegen ihre Blutarmut und mit Schulmaterialien versorgt werden oder Nachmittagsunterricht bekommen. ABHAS gibt den Mädchen auch Selbstbewusstsein. Alle interviewten Mädchen behaupteten nicht mehr so schüchtern und viel stärker geworden zu sein. Auch die Außerschulischen Aktivitäten geben den Mädchen so viel. Einfach einmal keine Verantwortung und lasten tragen, sondern am Bastel- oder Tanzunterricht teilnehmen. Und wie wunderschön und glücklich sie dabei aussehen. Bleibt zu hoffen, das die Nachmittags- und Wochenendaktivitäten nicht aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten eingestellt werden müssen!
Als letztes habe ich die Mädchen gefragt ob sie glücklich bei ABHAS wären. Schön die Mädchen auch lächeln zu sehen!