Ich darf mich sehr glücklich schätzen, denn ich habe Freunde über ganz Indien verteilt, mit ganz unterschiedlichem Lebensstil, verschiedenener Religionszugehörigkeit und aus allen Gesellschaftsschichten Indiens.
Das ermöglicht mir, einen umfangreichen Eindruck von den Menschen Indiens zu bekommen und erleben zu dürfen, wie die Bewohner Indiens Leben.
For zwei Wochen wurde ich von meinem ehemaligen Trekkingführer Ashok aus Daramshala (Regierungssitz des Dalai Lamas) in sein Dorf Kanol einegeladen.
Ich war sehr dankbar über diese Einladung, hatte ich mir doch schon lange gewünscht, einen Einblick in das Dorfleben der Frauen in den Bergen zu bekommen.
Zwar lebe ich seit einigen Jahren in dem indischen Bergdorf Old Manali, bin dort aber überwiegend mit Männern in Kontakt und befreundet. Es ist für mich sehr schwer in Kontakt mit Frauen aus den Dörfern zu kommen. Oft sind sie als Hausfrauen zuhause und haben dort einen langen und arbeitsintensiven Tag. Man sieht sie einfach in der Regel nicht. Darüber hinaus sprechen viele von ihnen kein Englisch, was es zusätzlich erschwert, sich mit ihnen zu befreunden.
Ihr Tag ist gefüllt mit Wäschewaschen, der Zubereitung der Mahlzeiten,das Haus sauber zuhalten,sich um die Kühe und Kinder zu kümmern, das Feuerholz zu beschaffen und, und, und…
Im folgenden Artikel soll es um das Leben der hartarbeitenden Dorffrauen aus Himachal Pradesh (einen Bergstaat Indiens) gehen, aber auch um das Leben und den Rhythmus im Dorf im Allgemeinen am Beispiel Ashoks und seiner Familie aus dem Dorf Kanol.
Der zweiunddreißig jährige Ashok lebt mit seiner einjahr jüngeren Frau und seinen Beiden Kindern Ansul (drei jähriger Junge) und Namika ( sechsjähriges Mädchen) in einem Haus zusammen mit drei Kühen, vier Hühnern (die Anzahl wechselt ständig) und seiner dreizehnjährigen Nichte (Sie lebt mit in dem Haus um der Familie bei der anfallenden Hausarbeit zuhelfen) im 700 Einwohnerdorf Kanol. Das Dorf liegt ca 400 km nördlich von Delhi im hügeligen Shivalik Gebirge. Ein Vorgebirge des Himalayas.
Schon allein, das Ashoks Familie, allein, als sogenannte nukleare Familie, in einem Haus lebt, ist etwas besonderes in Kanol. Normalerweise leben die Familien in indischen Dörfern noch als Großfamile zusammen über mehrere Generationen zusammen. Das Ashok sein eigenes Haus vor drei Jahren baute, ein Jahr nach seiner Heirat, lag einfach am Platzmangel. Ashok hat Acht Geschwister, von denen bis jetzt nur sein Bruder und eine Schwester verheiratetet sind.
In Indien ist es üblich, dass die Söhne in den Familien mit Frau und Kind wohnen bleiben, während die Töchter in die Familie des Mannes ziehen.
Das ist nicht immer einfach für die Frauen, vorallem da die Ehen in der Regel arrangiert und so manch heimliche Träne fließt, beim Umzug in das nächste Dorf.
Auch Ashok wurde verheiratet. Seine Frau kommt es einem 3 Kilometer entfernten Dorf, die Entfernungen sind also nicht allzu weit.
Die Menschen sind zufrieden in ihren Ehen. Sie kennen es eben nur so und akzeptieren es wie alles andere in ihrem Leben auch. Es ist nun einmal so, wozu klagen. Ob die Menschen hier wirklich glücklich sind, kann ich allerdings nicht beurteilen. Unglücklich sind sie auf jeden Fall auch nicht!
Um in Ashoks Dorf zu gelangen, das vielleicht 10 km Luftlinie vom Touristen Ort Mcleod Ganj entfernt ist, muss man 55 km auf der Straße mit drei verschiedenen Bussen beweltigen. Dafür brauchte ich viereinhalb Stunden. Aber auch nur bis in das vorletzte Dorf. Nach Kanol auf 1500m selbst fahren keine Busse, sondern man läuft die letzte halbe Stunde in das Dorf.
Ich wurde netterweise von Ashok und seinen beiden Kindern abgeholt, die mir gleich ihr Dorf zeigten: kleinere Lehmhäuschen, teils dicht beieinander, teils weiter von einenader entfernt, werden von grünen Feldern umrahmt. Im Hintergrund ragen sanft die Shivalik Hügel empor. Kleine Wasserbäche plätschern überall entlang indenen Frauen die Wäsche Waschen, man hört Stimmen von spielenden Kindern. Eigentlich alles ganz idyllisch.
Während wir weiter durch das Dorf spazieren, fällt auf, dass fast keine Männer hier sind. Tatsächlich erklärt Ashok, dass Kanol ein Dorf der Gaddis, also der Ziegenhirten ist. Während die Frauen ganzjährig im Dorf leben, ziehen die Männer mit ihren Herden durch den Bergsstaat und kommen nur selten nach hause. Die Männer, die wie Ashok, keine Ziegen haben, arbeiten entweder im Trekkingbusiness als Träger, oder heuern als Arbeiter im Straßenbau an für einen durchschnittlichen Tageslohn von 5 Euro.
Ein paar Männer sehe ich während meiner Erkundungstour beim Kartenspielen. Die Frauen sind schwer beschäftigt. Die meisten von ihnen hocken gerade in den Senf-Feldern und pflücken wildes Gemüse, sogenannten Saag (übersetzt: grüne Blätter). Und tatsächlich, alles was wir in Deutschland als Unkraut bezeichen würden, wie zum Beispiel Klee, wird in geflochtene Holzkörbe gesammelt.
Das erfüllt gleich zwei Nutzen: Das Grünzeug wird ein vorzügliches Abendbrot hergebn und gleichzeitig werden die Felder vom Unkraut befreit.
Der Tag einer Bergfrau aus Kanol sieht in etwa wie folgt aus:
5:30 Uhr Wird aufgestanden und Feuer gemacht und sich gewaschen
6:30 Uhr Die Kühe werden gemolken
7:00 Uhr Es wird Tee und Essen zubereitet und die Kinder fertig gemacht
8:00 Uhr Die Kinder gehen in die Dorfschule und die Frauen in kleien Gruppen hinauf den Berg für vier Stunden um Holz, Gras für die Kühe oder wilde essbare Pflanzen zu sammeln und schwer beladen zurück zu tragen
12:00 Uhr Mittag wird zubereitet
13:00 Uhr Mittag wird gegessen
14: 00 Uhr Wäsche wird gewaschen und das Haus gereinigt
15:00 Uhr Wilde Pflanzen für das Abendessen werden gepflückt oder es fällt Arbeit auf den Feldern an
18:00 Uhr Der Kuhstall wird ausgemistet, die Kühe gefüttert und gemolken
19: 00 Uhr Zubereitung des Abendessens
20:00 Uhr Abendessen
21:00 es geht ins Bett
Man sieht, so ein normaler Alltag ist gefüllt mit harter körperlicher Arbeit, die lediglich dazu dient die Grundbedürfnisse wie Essen und das Überleben zu befiredigen.
Auf unserem Weg durch das Dorf konnte ich beobachten, wie die Nutztiere zusammen mit den Menschen ganz frei lebten und Kinder sich mit simplen spielen stundenlang beschäftigen konnten ohne Müde zu werden.
Schließlich erreichten wir Ashoks zuhause, wo uns süßer Milchtee erwartete. Seine Frau war schon eifrig dabei ein für mich ganz besonderes Gericht zuzubereiten: Brennesseln. Das juckende Gemüse wurde gewaschen, mit etwas Reis und Salz gekocht, dann zerstampft und mit etwas Maismehl angedickt! Sehr lecker, aber auch sehr schmerzhaft diese Nesseln zu sammeln!
Die Kinder spielten mit den von mir mitgebrachten Geschenken. Der kleine Ansil liebte sein neues Auto, während Namika, ihr Barbie so bewunderte, dass sie nicht einmal ausgepackt werden durfte!
Ich hingegen bewunderte Ashoks kleine Nichte, die wie eine Erwachsene eine Arbeit nach der anderen verrichtet und nun gerade dabei war, den Kuhstall auszumisten!
Während nun alle Kinder zur Schule gehen, war das zu Ashoks Zeiten noch unüblich. Seine Frau war nie in der Schule, während Ashok drei Jahre die Schule besuchte. Danach ging er mit seinem Vater die Ziegen hirten oder passte auf die Kühe auf.
In Kanol gibt es eine Schule bis zur fünften Klasse. Dannach können die Kinder in das Nachbardorf bis zur Zwöften Klasse die Schule besuchen. Studieren tut danach aber meist niemand. Dafür ist das Geld zu knapp, die Frauen heiraten und erledigen den Haushalt, während die Männer anfangen Geld zu verdienen.
Ich sitze mit den Kindern und Ashoks Frau vor dem Feuer. Die Kinder Singen und Tanzen mir vor, während Ashoks Frau Maisfladen für das Abendessen auf dem Feuer bäckt.
Ashok ist nicht da. Er sitzt ein Etage tiefer allein in seinem Zimmer und trinkt seinen selbstgemachten Wein.
Alkohol, leider ein großes Problem bei den Männern aus den Dörfern. Viele sind Alkoholiker, viele brauchen in täglich! Auch Ashok.
Doch zum Abendessen erscheint er. Für mich ist überraschend, das die Frau uns zunächst nur das Essen serviert, aber an der Mahlzeit nicht teilnimmt. Ashok erklärt mir, dass es üblich für die Frauen ist, erst nach allen anderen zu essen.
Für ein weilchen Sitzen wir noch alle ein wenig am wärmenden Feuer. Dann werden die Decken ausgerollt und die vierköpfige Familie legt sich zum Schlafen auf den Boden, obwohl sie unten ein Bett haben. Sie mögen es so lieber, alle beieinander am Feuer, also bekomme ich das Bett, das höchstens einmal für Gäste benutzt wird.
Als ich im Bett lag, erinnerte ich mich an einem Besuch des Dorfes vor vier Jahren. Damals lebte Ashok noch bei seiner Familie im alten Haus ohne Toilette und im ersten Stock über dem Huhstall, damit es im Winter warm ist. Nun hat Ashok ein Dadezimmer und einen seperaten Kuhstall, wodurch es weniger Fliegen in der Küche in den Sommermonaten gibt.
Schritt um Schritt ändert sich das Leben hier auf dem Dorf und gleicht sich dem Leben im restlichen Indien an. Zwar werden die Mahlzeiten noch immer fast auschließlich mit selbst Gesammelten und selbst Produzierten zubereitet, doch Tee, Öl und hin und wieder Gemüse und Reis werden gekauft.
Früher, so erzählte Ashok, wurden kaum Gewürze verwendet, Milch statt Tee getrunken und mit Ghee, geklärter Butter, gekocht.
Am nächsten Morgen wache ich ausgeschlafen aus. Die Kinder gehen zur Schule, Ashoks Frau ist schon oben auf dem Berg Holz sammeln und ich und Ashok frühstücken leckere Pfladen, eigene Eier und ein Gemüsegericht aus Klee. Sehr lecker. Ein ganz normaler Dorftag startet, wie jeden morgen und ich und Ashok machen uns auf unseren Rückweg nach Mcleod Ganj. Doch diesmal zu Fuß über die Berge, dafür brauchen wir die gleiche Zeit, wie mit dem Bus.
Bevor wir uns voneinander verabschieden, erzählt er mir noch, dass das ganze Dorf während der Monsunmonate Juli und August einen Berg hinauf wandert um dort für zwei Monate zu leben. Alle kommen mit: Die Tiere, die Schule wandert hinauf und auch alle Menschen. Die Famileien haben dort kleine einfache Häuser. Sie leben für diese Zeit weiter oben, da der Regen weniger stark ist. In dieser zeit leben sie noch autarker und bereiten sogar einen ganz besonderen Wein zu, wie mir Ashok stolz berichtet!
Ich hoffe, dieser kleine Artikel konnte einen Einblick in das schöne, aber auch harte Leben in einem indischen Dorf, verschaffen. Ich genoss die zewi Tage sehr und werde definitiv wieder kommen und hoffe, dass man mich dann nicht nur umsorgt, sondern auch an der täglichen Arbeit teilhaben lässt!