Armut in Indien

Hintergründe und 6 Tipps was du als Indien Reisender tun kannst

Anmerkung: In diesem Artikel schreibe ich über die Armut in Indien beruhend auf eigenen limitierten subjektiven Erfahrungen und daraus resultierende Annahmen. Mit dem Artikel erhebe ich keines Falls einen Anspruch auf Vollständigkeit und absoluter Richtigkeit. Dafür ist Indien zu groß und das Thema zu komplex und Vielschichtig.

Umgang mit Armut?

Elendsviertel, bettelnde Krüppel, schmuddelige Straßenkinder… irgendwie sind diese Bilder fest mit unserer Vorstellung von Indien verbunden.

Tatsächlich ist die Armut noch immer ein Thema in Indien. Sonst wäre ich damals nicht als Freiwillige für ein Jahr nach Delhi gekommen um dort für eine  gemeinnützige Organisation in einem Elendsviertel mit Kindern zu arbeiten.

damals als Freiwillige in Delhi

Auch Indien Reisenden ist diese Problematik bewusst. Oft bekomme ich vorab viele Fragen gestellt: Wie gehe ich mit der Armut Vorort in Indien um? Was kann ich tun? Soll ich etwas mitbringen?

Mit diesen Artikel möchte ich auf diese Fragen eingehen und auch ein wenig das Thema „Armut in Indien“ beleuchten.

Gern kannst du dir übrigens auch zu diesem Thema meine Podcastfolge anhören.

Was ist Armut?

Hunger ist ein Resultat von Armut

Definition des  Entwicklungsausschuss der OECD: „ Armut ist die Unfähigkeit, menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen. Zu diesen Bedürfnissen gehören vor allem der Konsum und die Sicherheit von Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung, Ausübung von Rechten, Mitsprache, Sicherheit und Würde sowie menschenwürdige Arbeit.

Auf der Seite des BMZ steht zudem, dass Menschen extrem arm sind, wenn ihnen weniger als 1,90 $ pro Tag zur Verfügung stehen (Umgerechnet in lokale Kaufkraft).

Nach verschiedenen Quellen sollen demnach  22%  bis 68 % der indischen Bevölkerung in dieser extremen (absoluten) Armut leben.

Indische Armut

Diese Armut ist sofort erlebbar, wenn man vom Flughafen Delhi in die Stadt fährt oder mit dem Zug reist. Menschen in Lumpen, die unter Überführungen schlafen, Frauen mit ihren Babys, die an Ampeln an die Fensterscheiben klopfen, Kinder die an Bahnhöfen den Müll durchsuchen oder Männer die an den Gleisen hocken um ihr Geschäft zu verrichten. In Indien ist die Armut nicht nur in den Statistiken, sondern allgegenwertig.

Obachloser in Delhi

Klar, als Reisender erlebt man das Leid der Menschen noch einmal viel intensiver und komprimierter.

Touristenattraktionen, ziehen neben Besuchern, natürlich auch mittellose Bettler an, Zugfahrten durch die verwahrlosten Suburbs der Städte sind prägend und durch den ständigen Ortswechsel als Reisender, hat man natürlich viel mehr Eindrücke, als jemand, der an einem festen Ort in Indien lebt.

Das Land der Extreme

Doch es ist nicht nur die Armut, die einem in Indien auffällt. Es ist auch dieser krasse Kontrast zwischen Arm und Reich.

Nicht nur, dass einige der reichsten Menschen der Welt Inder sind (10 % der indischen Bevölkerung besitzt 77 % des nationalen Reichtums). Es ist viel mehr, dass Arm und Reich direkt neben einander existieren.

Damals als ich in Delhi lebte, wohnte ich in einem sehr guten Wohnviertel mit Park, Wachen und mit wohlhabenden Nachbarn. Nur wenige Schritte aus dem Tor, lebte eine Familie unter einer Plane auf dem Bürgersteig und einige Kilometer weiter, war der Slum in dem ich arbeitete. Gleich daneben wurde eine große Mall gebaut.

temporäre Behausungen

Es gibt wohl kaum ein Land mit einer ungerechteren Verteilung von Chancen für Menschen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Armut in der Stadt und auf dem Land

Ich würde gern behaupten, dass die Armut der indischen Menschen in der Stadt krasser ist, als auf dem Land.

Liege damit aber wahrscheinlich aus Sicht der Betroffenen falsch.

Wenn ich im Rahmen von Arbeitseinsetzen mit indischen NGO’s (Non Governmental Organisations) mit den Menschen in Elendsvierteln und auf den Straßen interagiere, treffe ich oft verwahrloste, unterernährte, schmutzige und harte Personen.

Die Geldverdiener

Rikschah Fahrer in Delhi

Oft sind es Männer, die als Familienoberhaupt in die Stadt gekommen sind um hier als einfache Tagelöhner oder Rikschahfahrer Geld zu verdienen. Um möglichst viel von dem Geld zu den Familien in den Dörfern zu schicken, wird sich keine feste Bleibe gesucht und auf der Straße gelebt.

Straßenkinder

Straßenkinder

Aber auch Kinder werden von ihren Familien in die Großstädte geschickt. Oft über kriminelle Banden, die sich auf organisierte Kinderarbeit und – Handel spezialisiert haben. Kinderprostitution, Drogenmissbrauch, Verstümmelung, strukturiertes Betteln sind hier nur einige Begriffe. Diese Art von Missbrauch erleben wir als Touristen übrigens in den seltensten Fällen.

Stadtland-Flucht

Auch ganze Familien verlassen ihre Heimat, um sich in der Stadt ein besseres Leben aufzubauen.

Sie leben dann in einem Slum, meist in ihren eigenen vier Wänden, aber auf engsten Raum, ohne Fließend Wasser, mit geklautem Strom und natürlich ohne sanitäre Einrichtungen.

Frau sammelt Müll

Um für den Unterhalt zu sorgen, verrichten auch Kinder und Frauen Arbeiten. Sei es, billigen Plastikkram zu verkaufen, Müll zu sammeln oder zu betteln. Bildung wird als nebensächlich geachtet.

Das Leben in der Stadt in Armut ist also hart.

Aber es scheint den Menschen zumindest eine perspektive oder Hoffnung zu geben? Wenigsten eine Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen? Warum sonst würden sie ihre Heimat verlassen?

Ohne Landbesitz scheint das ländliche Leben wohl noch hoffnungsloser zu sein.

Armut ist nicht gleich Armut

Bei 1,3 Milliarden Menschen, gibt es natürlich in Indien eine sehr breit gefächerte Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebensstandards.

Ohne die Situation in Indien beschönigen zu wollen, möchte ich dennoch einen Unterschied zwischen „Arm“ und „ Einfach“ machen.

So denke ich, dass viele von uns aus der Perspektive eines Europäers, so manch ein indisches Dasein, als „ armselig“ beschreiben würden.

Zunehmend gibt es eine immer größere indische Mittel- und Oberschicht, die durchaus auf einem ähnlichem Niveau lebt, wie wir.

Doch der durchschnittliche indische Lebensstandard ist einfach einfacher. Sowohl in der Stadt, aber vor allem auf dem Land, wo noch immer 70 % der Gesamtbevölkerung lebt.

Doch dieses einfache Leben, ist kein Leben in Armut.

einfache Wohnverhältnisse

Zwei Beispiele hier:

Bsp.: 1) Meine Schwägerin lebt mit ihrem Sohn und Ehemann in einem winzigen Zimmer, wo gerade einmal ein Bett hinein passt. Es gibt kein fließend Wasser und das Plumpsklo wird sich mit den Nachbarn geteilt. Doch die Familie ist glücklich, hat genug zu essen und es wird Geld gespart, um den Sohn auf eine gute Privatschule zu schicken.

traditionelle Dörfer im Himalaya

Bsp.:2) Einer unserer Treks endete im Dorf unseres Guides und er lud uns stolz zu sich nachhause ein. Zu dem kleinen Steinhäuschen ging es durch gelbe Senffelder und kleine Gemüsebeete. Zwei Zimmer, keine Möbel. Die Mama war nicht da, da sie während der Sommermonate oben in den Bergen in einer einfachen Holzhütte lebt, damit ihre Kühe grasen können. Die Schwester wusch gerade die Kleidung mit der Hand. Der taube Großvater kam neugierig angehumpelt und brabbelte munter in einem einheimischen Dialekt drauf hin. Am Abend wurden wir zu einem Dorffest eingeladen. Die Dorfgemeinschaft feierte ein religiöses Fest und hatte gemeinsam ein üppiges Mahl zubereitet.

Auch diese Menschen leben einfach und es gibt viel körperliche Arbeit. Doch die Kinder gehen zur Schule, es gibt reichhaltige gesunde Mahlzeiten, der soziale Zusammenhalt im Dorf ist stark und man spürt eine gewisse Zufriedenheit.

eine Bergschule

Mit diesen Beispielen möchte ich diese einfachen Leben nicht verherrlichen. Sicher, die nächsten Generationen der Familien werden mit einer besseren Bildung, gut bezahlten Arbeit und Modernisierung sicherlich auch ihren Lebensstandard verändern.

Ich möchte nur erklären, dass diese Menschen durchaus nicht arm sind und sich in keiner Weise arm fühlen.

Und genau hier liegt der Unterschied zu den Menschen in Europa, die in ähnlichen bescheidenen Verhältnissen leben. Sie werden nicht nur von uns als arm wahr genommen, sondern sie selbst haben meist das Empfinden.

Umgang mit Armut

Nun jedoch zu sechs Empfehlungen, wie als Tourist mit der Armut vorort umgegangen werden kann und was du gezielt tun kannst.

1. Begegne den Menschen menschlich

Manchmal ist die soziale Armut für die ärmere Bevölkerungsschicht, dass größere Leid. Sie sind von der Gesellschaft ausgeschlossen und werden oft mit Verachtung gestraft.

schenke ein Lächeln

Schenke den Menschen ein lächeln, zeige Interesse und starte vielleicht kleine verbale oder nonverbale Interaktionen. Spiele mit den Kindern, mach gemeinsame Fotos oder nimm das Baby auf dem Arm.

2. Gebe kein Geld an Kinder und Frauen

Solange wir bettelnden Kindern und Frauen Geld geben, bestärken wir sie in ihrem Tun. Das Betteln kann eine gute Einnahmequelle sein und lukrativer erscheinen, als in die Schule zu gehen oder zu arbeiten.

Frage stattdessen die Kinder, ob sie nicht in die Schule gehen. Oft stimmt sie das nachdenklich.

Du kannst den Kindern aber durchaus eine Banane geben oder zum Essen einladen.

Frauen mit ihren schläfrigen Babys auf dem Arm, haben diesen meist etwas eingeflößt um sie still zu halten. Wenn sie dich fragen, ihnen Milchpulver für das Kind zu kaufen, verneine. Es wird später an den Ladenbesitzer zurückverkauft.

Oft geben Touristen Stifte oder Süßes an Kinder. Daran ist prinzipiell nichts verkehrt. Doch an einigen touristischen Orten entsteht bei den Kindern nun eine regelrechte Erwartungshaltung, sobald ein weißgesichtiger Mensch erscheint. Schnell hat man eine Traube Hände aufhaltende Kinder um sich, die nach „Pens“, „Chocolate“ oder „Money“ fragen.

Beschränke dich vielleicht bei der Vergabe von Mitbringsel, wenn du Familien, Schulen oder sehr abgelegene Regionen besuchst.

3. Trage ein paar Münzen bei dir

Älteren Menschen und Menschen mit Behinderung kann man durchaus etwas Kleingeld geben.

Bettler trifft man in Indien überall

Dafür lohnt es sich, schnell ein paar Münzen griffbereit zu haben. Sonst wird es manchmal unangenehm, wenn man ewig lange in den Taschen wühlt und nichts findet. Gerade bei Zugfahrten, wenn die bettelnden Menschen durch die Züge ziehen oder in Städten, kann es Sinn machen.

4. Du musst nichts aus dem Ausland mitbringen

Stifte, Hygiene Produkte, Schokolade, Kleidung… tatsächlich gibt es alles auch in Indien ;). Du musst es also nicht aus deinem Heimatland mitschleppen. Kurbel stattdessen die indische Wirtschaft noch etwas mehr an und kaufe ggf. die Produkte hier. Zudem würde ich sinnvolle Produkte immer durch gemeinnützige Organisationen verteilen lassen. Diese Wissen auch ganz genau was gebraucht wird und wo man die Produkte gut und günstig erhalten kann.

5. Spende an eine gute gemeinnützige Organisation

Viele Reisende entwickeln zu Indien eine tiefe Beziehung und wollen den Kontakt durch finanzielle Unterstützung auch nach dem Besuch aufrechterhalten.

Hope Foundation Nachhilfe Unterricht

Du tust den Menschen den größten gefallen, wenn du NGO`s unterstützt, die Vorort direkt mit den Menschen arbeiten. So kannst du gezielt Projekte unterstützen, die längerfristige Veränderung fördern und Probleme an der Wurzel angehen. Ausbildungen für Frauen, Workshops in Menschrechten und Hygiene, Nachhilfeunterricht für Kinder sind nur einige Beispiele.

Es ist nicht immer ganz einfach einen direkten Kontakt zu einer guten Organisation herzustellen. Da helfe ich aber gern. Ein erster Eindruck kann sich schon einmal hier gemacht werden.

6. Engagiere die Ehrenamtlich

Wenn du etwas mehr Zeit Vorort in Indien hast, kann es natürlich auch sehr interessant sein, als Freiwillige oder Freiwilliger für eine gewisse Zeit mit einer NGO zu arbeiten.

Das ist nicht nur eine gute Ergänzung zu deiner Indienreise und du wirst viele neue Erfahrungen und Erkenntnisse sammeln, sondern du kannst ganz praktisch etwas für die Menschen tun.

Freiwilligen Arbeit in Delhi

Wie bereits erwähnt, dass größte Geschenk kann manchmal schon einfach nur Aufmerksamkeit sein.

Je länger du dich Verpflichten kannst, desto besser natürlich für die Menschen und die Organisation. Aber auch wenig Zeit, soll dich nicht davon abhalten Gutes zu tun. Unterrichte für ein paar Tage Englisch, organisiere einen Ausflug in die Natur für Kinder, gebe einen Workshop oder lade zu einem gemeinsamen Essen ein.

Wenn du gezielte Qualifikationen hast, ist das natürlich immer Hilfreich. Aber auch ohne Ausbildung, dafür mit viel Leidenschaft, kann einiges bewirkt werden.

Hier erfährst du mehr, wie du Freiwilligenarbeit in Indien machen kannst.

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