Christoph aus der Schweiz, ein Gast von Chalo Reisen, erzählt von seinen Erlebnissen während seiner dreiwöchigen und 1200 km langen Fahrradreise durch den indischen Himalaya von Shimla bis hoch nach Leh mit einer krönenden Besteigung des Stok Kangri.
Es traf mich wie ein Hammerschlag. Als sich die Schiebetüren des Flughafens in Delhi öffneten, wurde ich überwältigt von der hei?en, schwülen Luft mit dem eigentümlichen Geruch. Ich war in Indien! Die moderne Metro brachte mich ins Stadtzentrum. Ich ging zum nahen Bahnhof, vorbei an unzähligen Menschen, die geschäftig herum wuselten oder einfach auf dem Boden lagen. Trotz der schlaflosen Nacht im Flugzeug war ich sehr aufgeregt ob der vielen neuen Eindrücke und ob alles klappen würde. Ich war zum ersten Mal in Indien und überhaupt außerhalb Europas, gespannt, einen so fremden Teil der Welt kennenzulernen.
Der Zug war klimatisiert und halbleer, von aufmerksamen Zugbegleitern wurde uns Tee und Essen gereicht. Ich entspannte mich und sah gebannt aus dem Fenster. Kilometerweit fuhren wir an den Ausläufern Delhis vorbei, ärmlichen Hütten und Bergen von Müll, dazwischen immer wieder Kühe, die frei herumliefen. Dann endeten die Häuser und die Reise führte durch flaches Landwirtschaftsland mit Reisanbau. In Kalka wechselte ich den Zug, weiter führte eine altehrwürdige Schmalspurbahn hinauf in die Berge nach Shimla. Der Zug fuhr auf dieser kurven-, brücken- und tunnelreichen Strecke sehr langsam und ich hatte Zeit, die Gegend und die anderen Fahrgäste zu beobachten, meist indische Familien auf Ausflugsreise. Alle waren überaus nett, interessiert und hilfsbereit.
In Shimla regnete es. Ich traf Naresh, meinen Fahrer und Begleiter für die nächsten zweieinhalb Wochen. Wir kauften Wasser und einige Lebensmittel, dann ging die Fahrradtour los. Die Strasse führte aussichtsreich den grünen Bergen entlang nach Narkanda. Ich lernte den Linksverkehr kennen und beobachtete Affen, die den Strassenrand säumten. Hie und da lagen Kühe mitten auf der Strasse und der zahlreiche Verkehr kurvte um sie herum. Am nächsten Tag folgte als erstes eine lange Abfahrt hinab in das Kinnaur-Tal. Drückende Hitze begleitete mich die nächsten Stunden. Das Tal des Satluj wurde zunehmend enger und stieg ständig an. Noch war die Landschaft sehr grün, ab und zu war die Strasse spektakulär aus den Felsen gehauen. Wir übernachteten in Kalpa weit oberhalb des Talbodens, um uns an die Höhe zu gewöhnen. Den nächsten Vormittag verbrachten wir mit der Besorgung des Inner Line Permits, um weiter Richtung Spiti fahren zu dürfen. Diese Gegend ist aufgrund der unmittelbaren Nähe zur chinesischen Grenze stark vom Militär kontrolliert.
Die Landschaft wurde immer spannender. Weiterhin folgte die Strasse dem Satluj-Fluss, ab Pooh wurde das Tal immer mehr zur Schlucht, mit hohen Felswänden auf beiden Seiten. Die Gegend war jetzt sehr trocken geworden, es wuchsen nur noch ab und zu spärliche Büsche. Serpentinenreich und durch einen riesigen Erdrutschkegel fuhren wir hinauf nach Nako auf 3600 Metern.
Nako befindet sich auf einem Bergrücken an einem kleinen See. Es ist ein wunderschönes, uraltes Dorf mit einfachen Häusern und traditioneller Landwirtschaft. Nach den Tagen unten im Talboden genoss ich die grandiose Aussicht auf die Berge und gewaltigen Schluchten. Das Atmen fiel hier spürbar schwerer, auch der Schlaf war nur mässig erholsam.
Eine lange Abfahrt führte wieder hinab ins Tal an den Spiti-Fluss, dem die Strasse die nächsten Tage folgte. Wir waren jetzt im Spitital. Die hohen Berge schirmten die Gegend von den Wolken ab, es war heiss und die Sonne brannte. Nichts wuchs hier mehr, ausser direkt am Fluss oder auf den bewässerten Feldern. Immer wieder passierten wir Kolonnen von Strassenarbeitern, die mit einfachsten Mitteln die Strasse instand hielten. Es gab kaum Maschinen, fast alle Arbeiten wurden von vielen Menschen von Hand verrichtet. Frauen in farbigen Saris trugen schwere Steine herum. In Tabo konnten wir dank Naresh bei einer einheimischen Familie übernachten und essen. Gemeinsam sahen wir uns das berühmte alte Kloster im Dorf an.
Am nächsten Tag folgte ein Umweg zum Kloster Dhankar. Eine kurvenreiche Bergstrasse führte dort hinauf und ich bemühte mich, möglichst kraftschonend zu fahren, um mich weiter an die Höhe zu gewöhnen. Die indischen Strassen sind meist relativ flach angelegt, die Steigungen betragen selten mehr als 5%. Was wohl den altersschwachen Lastwagen geschuldet ist, kommt auch den Fahrradfahrern zu Gute, die mit der enormen Höhe schon genug zu kämpfen haben.
Dhankar war wunderschön! Das alte Kloster liegt spektakulär auf einem Felsen, ist allerdings aufgrund dieser exponierten Lage einsturzgefährdet und nicht mehr in Betrieb. Die Mönche leben mittlerweile in einem grossen Neubau. Vorbei am grossartig gelegenen Bergdorf Lalung kehrten wir zurück in das Spitital und quartierten uns in Kaza ein.
Es folgte ein Akklimatisationstag mit einer Fahrt zum 4500 Meter hoch gelegenen Kloster Komic. Eine schmale, gewundene Bergstrasse führte dort hinauf, vorbei am angeblich höchstgelegenen Postamt der Welt, von wo ich einige Postkarten verschickte. Von oben hatten wir einen grandiosen Blick auf das Tal mit dem breiten, unverbauten Spitifluss, der in unzähligen Armen und Mäandern dahinfloss. Solche ursprünglichen Flusstäler gibt es in der Schweiz kaum mehr und ich stellte mir vor, wie meine Heimat vor der Kanalisierung der Flüsse einmal ausgesehen haben musste. Wir gelangten in eine weite braune Hügellandschaft, umsäumt von hohen Bergen. Trotz der grossen Höhe leben dort überall Menschen in kleinen Dörfern und ringen dem trockenen Boden dank Bewässerung eine karge Lebensgrundlage ab.
Doch das Wasser wird wegen zunehmend ausbleibender Niederschläge immer weniger, was die Zukunft dieser Leute bedroht. Während der Abfahrt gerieten wir in einen Regenschauer, der die lehmige Piste aufweichte und sehr rutschig werden liess. Für mich mit dem stollenbereiften Mountainbike war dies jedoch ein kleineres Problem als für Naresh im Auto. Schliesslich kehrten wir nach Kaza zurück.
Der weitere Weg war gesäumt von eindrucksvollen Flusslandschaften. Zahlreiche Nebenflüsse flossen dem Spiti zu, was die Strasse zu abenteuerlichen Umgehungen und Brücken zwang. Die Piste wurde immer schlechter und ich bemühte mich im Interesse halbwegs heilen Sitzfleisches, die zahllosen Schläge mit den Beinen abzufedern, was natürlich auf Dauer ziemlich anstrengend war. Aber es war wunderschön! Sonne und Wolken beleuchteten eine erstaunlich farbige Landschaft mit teils bizarren Erosionsformen. Alles war hier grösser, wilder und ursprünglicher als bei uns. Kurz vor dem letzten Dorf Losar führte ein Seitenfluss Hochwasser und hatte die Brücke überschwemmt. Das Wasser stieg zusehends höher, in einer etwas hektischen Aktion packten wir das Bike auf das Dach des Autos und fuhren so durch das hohe Wasser. Nun folgte ein weiterer Höhepunkt, der erste hohe Pass Kunzum La mit 4590 Metern Höhe, der das Spiti- mit dem Lahaultal verbindet. Die tiefstehende Sonne tauchte die Berglandschaft in ein zauberhaftes Licht. Vorbei an Yaks und Pferden stieg ich immer höher, bis schliesslich die Stupa auf der Passhöhe auftauchte. Ich war glücklich, diese erste Herausforderung gemeistert zu haben und vollführte mit Naresh ein kleines Ritual zum Wohlgefallen der Götter. Naresh war als Hindu überaus aufgeschlossen und keineswegs abgeneigt, die buddhistischen Heiligtümer zu besuchen und dort zu beten.
Ein weiterer Abstecher führte uns zum Chandra Taal, einem herrlichen Bergsee, in einem malerischen, nebelumwaberten Talkessel gelegen und zugleich Quelle des Chandraflusses. Wir übernachteten dort in erstaunlich komfortablen, grossen Zelten und besuchten den See am nächsten Morgen. Da der Chandra Taal für Naresh heilig ist, füllte er etwas Wasser daraus ab und nahm es mit sich.
Nun ging es zum ersten Mal ein Tal abwärts. Die Piste im Lahaultal war vaterländisch schlecht und gerade deshalb richtig fordernd und spassig zum Biken! Immer wieder mussten Erdrutsche und Bäche, die die Strasse überschwemmten, gemeistert werden. Das Ziel war dabei, trockene Schuhe zu behalten, was auf den teilweise längeren Abschnitten durch felsendurchsetztes, erstaunlich tiefes und trübes Wasser nicht ganz einfach war… Aber nicht nur für mich war die Strecke schwierig, auch die zahlreichen Motorradfahrer, Autos und Lastwagen kämpften mit den Elementen. Ich kam zum Schluss, dass ein Mountainbike eines der geeignetsten Fortbewegungsmittel auf dieser Strecke war, im Notfall konnte ich es einfach über die garstigsten Stellen hinweg tragen. Naresh blieb mit dem Auto einmal an einem grossen Felsblock im trüben Wasser eines Bachs hängen, aber mit vereinten Kräften einiger Motorradfahrer konnten wir das Fahrzeug glücklicherweise rasch wieder flottmachen. Ab der Abzweigung zum Pass Rohtang La, der nach Manali führt, wurde die Strasse breit und asphaltiert, befreit rollten wir nach Sissu.
Wir waren nun auf dem Manali-Leh Highway, dem eigentlichen Grund meiner Reise. Ich war während Recherchen im Internet auf diese Strecke aufmerksam geworden und fasziniert von den hohen Pässen und gewaltigen Landschaften, die sie durchquert. Nun war ich also tatsächlich hier und gespannt, was mich erwartete. Es ging weiter Tal abwärts, aber natürlich nicht ohne einige Gegensteigungen. Wegen der wieder etwas geringeren Höhe von etwa 3000 Metern fühlte ich mich gut und konnte etwas zügiger fahren. Ich freute mich, dass ich die Höhenunterschiede vertrug und schon etwas angepasst hatte. Auf guter Strasse passierten wir Keylong und Jispa. Die Landschaft war wieder grüner und erinnerte an die Alpen. Unten am Fluss lagen immer wieder herrlich gelegene Zeltanlagen. In Darcha folgte ein längerer Anstieg, die Gegend wurde nun wieder karger. Durch eine prächtige Berglandschaft stieg die Strasse immer weiter an, etwa in gleichem Masse, wie meine Kräfte schwanden. Schliesslich erreichten wir ein Zeltlager oberhalb der Zing-Zing Bar, wo wir etwas zu Essen bekamen und Naresh uns ein bequemes Nachtlager bereitete.
Es ging weiter bergauf. Vorbei an Heerscharen von Strassenarbeitern, die unter einfachsten Bedingungen unter Planen entlang der Baustellen hausten, erreichten wir den 4890 Meter hohen Pass Baralacha La. Die Abfahrt führte uns in eine wilde, farbenprächtige Landschaft mit weitgefächerten Flussläufen und schroffen Bergen. Nach einer Weile erreichten wir das breite, flache Flusstal des Tsarap. Der Fluss hatte sich in den Boden gefressen und dabei bizarre Felsformationen freigelegt, dies sah faszinierend aus. In Sarchu trafen wir zum ersten Mal die Bikegruppe von Sarah und Yogi, die ebenfalls den Manali-Leh Highway befuhr. Ich freute mich sehr über die Gesellschaft, und endlich Sarah kennenzulernen, nachdem wir uns bisher nur über Email ausgetauscht hatten. Leider konnte ich nicht bleiben und so folgte ein weiterer Pass, der Nakee La. 22 Haarnadelkurven, die Gata Loops, führten dort hinauf. Für mich war es ein ziemlicher Leidensweg, offenbar büsste ich nun für die lange und anstrengende Etappe am Tag zuvor. Das Problem war, dass ich mich während der Nächte in diesen enormen Höhen jeweils kaum erholen konnte, am Morgen war ich meist noch gleich kaputt wie am Abend davor…
Von Pang stieg die Strasse hinauf auf eine gewaltige Hochebene, die Morey Plains. Diese Ebene ist etwa 40km lang und liegt auf 4800 Metern Höhe. Mit Rückenwind kamen wir recht gut voran. Vor uns türmte sich ein weiterer Pass auf, der Tanglang La. Die Strasse war recht neu und sehr gut ausgebaut, zudem nicht besonders steil. Der Wind hatte sich jedoch gegen uns gekehrt und ich fühlte mich schlecht. Langsam arbeitete ich mich auf den 5328 Meter hohen Pass, angeblich der zweithöchste der Welt. Oben flossen die Glücksgefühle in Strömen! Eine grosse, in Pink gekleidete Gruppe indischer Motorradfahrerinnen war ebenfalls eingetroffen und veranstaltete ein fröhliches Fotoshooting. Wir fuhren die Strasse wieder hinab und bogen ab nach Thugje in der Nähe des weissen Salzsees Tso Kar. Hier musste ich mich leider von Naresh verabschieden, der die folgende Strecke nicht befahren durfte. An seine Stelle trat Dorje, ein ebenfalls freundlicher und hilfsbereiter Fahrer aus Leh, mit dem ich mich aber leider nur rudimentär verständigen konnte.
Mein Weg führte mich tiefer hinein in die Changthang Region von Ladakh, einem Ausläufer des tibetischen Hochplateaus. Die Gegend ist etwa 4500 Meter hoch gelegen und wüstenhaft karg. Durch die extrem trockene Luft waren Fernsicht und Farben überwältigend schön! Es gibt in der Gegend mehrere tiefblaue Seen, die von der hellbraunen Umgebung eingerahmt werden. Wir befuhren eine ruppige Staubpiste, die über zwei kleinere Pässe und vorbei an farbigen Schwefelquellen zum Tso Moriri führt, einem grossen See mit einigen malerischen Sechstausender Bergen darum herum. An seinem Westufer liegt ein kleines Dorf, wo wir einen Pausentag verbrachten. Ein Einheimischer, Sonam, führte mich in ein Nomadencamp, wo die Bewohner in Zelten leben, und auf einen kleinen Berg mit phantastischer Aussicht auf den See und die schneebedeckten Gipfel dahinter.
Nach diesem Abstecher führte die Route in das Industal hinab. Der Fluss führte sehr viel Wasser und überschwemmte an einigen Stellen die Strasse, was einige Umgehungen und Watmanöver erforderte. Die Strecke war geprägt von abwechslungsreichen Formen, Farben und Strassenzuständen. Stellen mit tadelloser Asphaltdecke wechselten sich ab mit langen, staubigen Baustellenabschnitten. Die Gewalt des reissenden Flusses war beeindruckend, immer wieder passierten wir überschwemmte Gärten und Felder. In Upshi traf die Strasse auf den Manali-Leh Highway. Vergeblich versuchte ich, eine bequeme Unterkunft zu bekommen. Schliesslich fuhren wir bei einbrechender Dunkelheit im Auto nach Leh, wo wir Sarahs Gruppe wiedertrafen und ich mich im Jigmet Guesthouse einquartieren konnte. Die Fahrradtour war hiermit zu Ende, nicht jedoch die Erlebnisse.
Gemeinsam mit Sarahs Gruppe befuhr ich noch den Khardung La, den angeblich höchsten befahrbaren Pass der Erde. Und mit Sarah und Yogi konnte ich eine dreitägige Bergtour auf den 6125 Meter hohen Stok Kangri unternehmen. Danach war es gut…
Christoph, 45-jähriger Fahrradmechaniker aus der Schweiz
Vielen Dank Sarah für Deine Mithilfe bei der Planung und Organisation dieser grandiosen Tour! Ich weiss nicht, ob ich mich ohne Deine Hilfe daran gewagt hätte. Deine Vorbereitungen und das Begleitfahrzeug haben mir viel Handlungsspielraum und Sicherheit gegeben. Es hat alles wie am Schnürchen geklappt.